In einer Epoche rasanter technologischer, sozialer und kognitiver Transformationen sieht sich die Psychologie des Lernens neuen Herausforderungen sowie bislang ungekannten Chancen gegenüber. In der aktuellen Forschung und Anwendung gewinnen insbesondere drei Themenfelder zunehmend an Relevanz: Im vorliegenden Text werden die Themen Neurodiversität, motivationale Selbstregulation sowie der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) im Bildungskontext erörtert. Diese Entwicklungen betreffen nicht nur fundamentale Fragestellungen der Lernpsychologie, sondern bedingen eine Neubewertung hinsichtlich individueller Förderung und institutioneller Bildungsstrukturen. Neurodiversität als Ressource begreifen
Der Terminus „Neurodiversität“ beschreibt die Vielfalt menschlicher Gehirn- und Denkstrukturen. Diese Vielfalt umfasst unter anderem Autismus-Spektrum-Störungen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sowie Hochsensibilität. Es handelt sich hierbei nicht um ein Defizit, sondern um einen Ausdruck biologischer und kognitiver Differenz. Die Lernpsychologie widmet sich zunehmend der Frage, wie Lernumgebungen gestaltet werden können, die dieser Diversität gerecht werden, ohne zu pathologisieren. Empirische Studien belegen, dass Lernende mit unterschiedlichen neurodiversen Bedürfnissen von individualisierten Lernpfaden, visuellen Hilfsmitteln und bewegungsorientierten Formaten besonders profitieren (vgl. Armstrong, 2017). Der Fokus verschiebt sich somit von der Normierung hin zur Potenzialentfaltung in heterogenen Lernsettings. Motivation und Selbstregulation: Lernen unter eigener RegieIn der post-pandemischen Bildungslandschaft wird evident, dass motivationale Prozesse einen entscheidenden Einfluss auf den erfolgreichen Wissenserwerb haben. Die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (2000) erfährt gegenwärtig eine Wiederbelebung, da sie die Relevanz der drei Grundbedürfnisse – Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit – für anhaltendes Lernen betont. Insbesondere in digitalen Lernumgebungen, die ein hohes Maß an Selbststeuerung erfordern, sind motivationale Kompetenzen von essenzieller Bedeutung. In der aktuellen Forschung wird vermehrt der Fokus auf die Untersuchung der metakognitiven Selbstregulation von Schülerinnen und Schülern gelegt.
Neuere Forschungsarbeiten widmen sich verstärkt der Frage, wie Schülerinnen und Schüler in ihrer metakognitiven Selbstregulation unterstützt werden können. Als mögliche Ansätze werden etwa Feedbackformate, Gamification-Elemente oder strukturierte Reflexionsprozesse genannt (vgl. Schunk et al., 2022). Künstliche Intelligenz als Lernbegleiter: Der Einsatz von KI-basierten Tutorensystemen, Chatbots und adaptiven Lernplattformen führt zu einer tiefgreifenden Transformation im Bereich der pädagogischen Psychologie. Adaptive Systeme, wie etwa intelligente Lernsoftware, analysieren das Lernverhalten in Echtzeit und passen Aufgabenstellungen individuell an. Dies eröffnet insbesondere in inklusiven Settings neue Möglichkeiten (vgl. Holstein et al., 2020). Gleichzeitig wirft der Einsatz von KI neue ethische Fragen auf: Es stellt sich die Frage, inwiefern ein Algorithmus mit der Kontrolle des Lernwegs betraut werden darf. Es stellt sich die Frage, welche Daten als schützenswert zu erachten sind. In diesem Kontext ist die psychologische Forschung gefordert, um Kriterien für transparente, lernförderliche und faire KI-Systeme zu entwickeln. Die Psychologie des Lernens sieht sich gegenwärtig einer doppelten Herausforderung gegenüber: Einerseits ist sie angehalten, der kognitiven Diversität der Lernenden gerecht zu werden, andererseits ist sie gefordert, auf technologische Entwicklungen zu reagieren, die das Lernen selbst verändern. Die aktuellen Forschungsthemen Neurodiversität, Motivation und KI sind Symptome eines tiefgreifenden Wandels in der Bildungspsychologie. Dieser Wandel manifestiert sich in einer Abkehr vom standardisierten Unterricht und einer Hinwendung zu einer dynamischen, personalisierten und lernenden Bildungskultur.